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Wege aus der Plastikkrise – im Gespräch mit WasteReduction

INTERVIEW | Den eigenen Kunststoffmüll zu reduzieren löst nicht die globale Plastikkrise. WasteReductions neuer Nachhaltigkeitsstandard stoppt endlich wilden Plastikmüll.

INTERVIEW | Den eigenen Kunststoffmüll zu reduzieren löst nicht die globale Plastikkrise. WasteReductions neuer Nachhaltigkeitsstandard stoppt endlich wilden Plastikmüll.

31.10.2022 | Ein Interview geführt von Veronika Gruber und Katrin Baumann | Bild: Catherine Sheila, Pexels

Das Konzept der Kompensation kennen wir bereits aus dem Klimaschutz. Wenn CO2-Emissionen unvermeidbar sind, lassen sich CO2-Zertifikate erwerben, mit denen ausgleichende Klimaschutzprojekte finanziert werden. Warum diesen Ansatz nicht auf ein weiteres großes Umweltproblem beziehen?

Martin Hinteregger, der Co-Founder von WasteReduction, spricht im Interview über die Komplexität des Plastikproblems, aber auch über Lösungen. Wie funktioniert die Kunststoffkompensation und weshalb ist sie sinnvoll? Wir erfahren, wie wir dem Ziel einer von Plastikmüll befreiten Natur näherkommen können.

LifeVERDE: Hallo Martin, schön, dass du dir Zeit für unsere Fragen nimmst. Erklär uns für den Anfang doch bitte, was genau ihr bei WasteReduction macht und welche Ziele ihr habt!

Martin Hinteregger: Unsere Mission bei WasteReduction ist eine Plastikmüll-freie Natur. Auf Reisen in verschiedene Länder haben wir erlebt, dass viele Menschen mit ihrem Müll allein gelassen werden. Beim Anblick von Flussufern, die Mülldeponien gleichen und Tieren, die im Plastikmüll nach Nahrung suchen, können wir nicht länger auf die Politik warten. Denn solche Missstände im Umgang mit Plastikmüll bedrohen unsere eigene Zukunft und die der folgenden Generationen.

Die Kunststoffkompensation ist ein finanzieller Mechanismus, der es uns ermöglicht, in ärmeren Ländern die Infrastruktur für Plastikmüll zu verbessern, so dass mehr Plastikmüll ordentlich entsorgt und Teile davon sogar recycelt werden. So können wir dazu beitragen, dass weniger Müll in Flüsse und somit ins Meer gelangt, Menschen fair bezahlt werden und darüber hinaus ein Bewusstsein für Müll entsteht. Um auch bei uns Müll und „Littering“ zu reduzieren, begeistern wir Kinder für Umweltschutz.

Unser Ziel bis Ende 2024 ist es, mindestens 250 Bildungsworkshops zu halten und die Natur vor mindestens drei Millionen Kilogramm an Plastikmüll zu beschützen. Wenn es uns gelingt, noch mehr Privatpersonen und noch größere Unternehmen für die Kunststoffkompensation zu gewinnen, ist noch viel mehr möglich. Es gibt leider genug Müll da draußen. Deshalb arbeiten wir hart daran, dass die Welt uns in Zukunft nicht mehr braucht.

Wie genau funktioniert die Plastikkompensation bei WasteReduction?

Jedes gekaufte Produkt mit unserem plastikneutral+ Label macht die Natur ein Stück plastikfreier.
Wenn Kunststoff verwendet wird, kann er von Unternehmen oder Privatpersonen bei uns kompensiert werden. Das heißt, wir beschützen die Natur vor der gleichen Menge an wildem Plastikmüll.

Mit unseren Umweltschutzprojekten in Ländern, die besonders zu wildem Plastikmüll beitragen (z. B: Nepal, Indonesien und Albanien), bauen wir Abfallmanagement auf, sammeln Müll von Haushalten oder Deponien, sortieren ihn, recyceln so viel wie möglich und verwerten den Rest fachgerecht. Dadurch können wir verhindern, dass Plastikmüll in die Natur gelangt. Das ist viel effizienter als Müll nur an Stränden einzusammeln, denn täglich kommt neuer Müll nach, wenn wir nicht an den Ursachen ansetzen.

Aber auch an unseren Lieblingsplätzen zuhause liegt immer mehr Müll. Deshalb reicht es nicht, nur im Ausland aktiv zu sein. Meistens mangelt es in Deutschland und Österreich nicht an Mülleimern, sondern am Bewusstsein. Deshalb fördern wir durch unsere eigenen Schulworkshops einen bewussten und verantwortungsvollen Umgang mit Kunststoff.

Mit dem plastikneutral+ Label wird Kunststoff kompensiert, indem wilder Plastikmüll eingesammelt wird (Bild: WasteReduction).

Die Auseinandersetzung mit dem Problem Plastikmüll gehört zu Ruths und deinem Alltag. Welche Zahlen und Fakten zu diesem Thema schockieren dich nach wie vor am meisten und sollte dementsprechend auch jede*r kennen?

Uns macht es sprachlos, dass ca. ein Drittel des weltweit hergestellten Kunststoffs in die Natur gelangt. Wir sprechen von mehr als 25 Millionen Tonnen Plastikmüll pro Jahr, einer unvorstellbaren Menge. Ein Teil davon gelangt direkt in die Meere. Das Schockierende dabei ist, dass nur ca. 5 % des Plastikmülls schwimmen. Der Rest ist wahrscheinlich für immer verloren.

Allein 82 % des Plastikmülls, der ins Meer gelangt, stammt aus Asien (bei 45 % der weltweiten Kunststoffproduktion). Im Vergleich dazu entfallen auf die USA und Europa zusammen nur 2 % (bei 40 % der weltweiten Kunststoffproduktion). Und das, obwohl wir pro Kopf wesentlich mehr Plastikmüll verursachen. Der Grund für diese Unterschiede liegt hauptsächlich darin, dass in vielen Ländern die Infrastruktur fehlt, um Müll von Haushalten abzuholen und fachgerecht zu entsorgen.

Viele Verbraucher*innen in Deutschland sparen Plastikmüll ein, damit unsere Meere sauberer werden, aber hier besteht fast kein Zusammenhang. Tatsächlich ist Kunststoff in vielen Anwendungen klimafreundlicher in der Herstellung, im Transport und im Recycling als Alternativen wie Karton/Papier und Glas. Daher ist Kunststoff leider oft das Beste, was wir aktuell haben. Zudem ist Plastik oft alternativlos, wie z. B. als Kunststoffisolierung bei Stromleitungen.

Da heute der meiste Plastikmüll schwer zu recyceln ist und dadurch keinen Wert besitzt, finanziert die Kunststoffkompensation, dass weniger Plastikmüll in der Natur landet.


Ruth und Martin gründeten gemeinsam WasteReduction, um gegen das Plastikmüllproblem anzugehen (Bild: WasteReduction).

Weshalb wird heute so wenig Kunststoff recycelt?

Auf Grund von schlechten Produkt- oder Verpackungsdesigns, ist der meiste Kunststoffmüll heute sehr schwer zu recyceln und daher besteht kein wirtschaftliches Interesse. Das liegt daran, dass häufig mehrere Materialien miteinander zu sogenannten Multilayern verbunden werden, die nicht mehr recycelt werden können. Ein Beispiel ist die mit Aluminium beschichtete Chipstüte.

Ein riesiger Schritt für eine Nachhaltigkeitssteigerung wäre es, weniger Kunststoffsorten zu verwenden und diese in Produkten bzw. Verpackungen nicht zu vermischen. Das würde das Kunststoffrecycling wirtschaftlich machen. So werden Kunststoffe recycelbar und Plastikmüll zu einem begehrten Wertstoff. Hier ist die PET-Flasche ein Vorreiter, da sie selbst in den ärmsten Ländern der Welt eingesammelt und fürs Recycling verkauft wird.

Da aber Plastik als Problem wahrgenommen wird, versuchen Unternehmen es immer öfter zu vermeiden. Neben einer meist höheren CO2-Bilanz im Gesamtergebnis führt das auch dazu, dass immer häufiger beschichtetes, nicht mehr recycelbares Papier verwendet wird.

Mittlerweile wird immer öfter biologisch abbaubarer Kunststoff, beispielsweise aus Maisstärke, angeboten. Wie sinnvoll ist das?

Das ist ein schwieriges Thema. Biokunststoffe sind oftmals eine große Täuschung von Verbraucher*innen. Es gibt zum einen biobasierte Kunststoffe und zum anderen biologisch abbaubare Kunststoffe. Dabei reicht ein kleiner Teil an biobasiertem Material aus, um einen Kunststoff als „Biokunststoff“ bewerben zu dürfen. Statt Erdöl kommt hierbei oftmals Stärke zum Einsatz, die häufig aus Kartoffeln oder Mais gewonnen wird. Das heißt, um erdölbasierte Kunststoffe zu vermeiden, benötigen wir Agrarflächen, die wir allerdings für die Lebensmittelproduktion brauchen und die sowieso schon viel zu knapp sind. Entgegen der weit verbreiteten Meinung wird für Kunststoff außerdem gar nicht so viel Erdöl benötigt. In Europa entfallen 1,5 % des Erdölbedarfs auf die Kunststoffproduktion im Verpackungsbereich. Rund 31 % entfallen auf den Transport inkl. Personenverkehr. Diese Größenverhältnisse sind total absurd.

Biologisch abbaubare Kunststoffe, andererseits, können auch aus Erdöl gemacht sein. Ihre Kompostierung funktioniert jedoch nicht zuverlässig. Deshalb ist es in Deutschland nicht mehr erlaubt, sie in der braunen Tonne zu entsorgen. Sie werden heute ausschließlich verbrannt und es wäre wesentlich sinnvoller, hochwertigen erdölbasierten Kunststoff zu verwenden und ihn dann im Kreislauf zu halten.

Handelt es sich beim fehlenden Abfallmanagement in verschiedenen Ländern nicht um ein politisches Problem?

Doch, aber uns läuft die Zeit davon, auf die Politik in anderen Ländern zu warten. Es wäre das Sinnvollste für die Natur, wenn alle Länder ein Müllsystem einrichten würden, wie wir es in Mitteleuropa kennen. Allerdings hat die Entwicklung der Gesetze zu Abfallmanagement und die Umsetzung in Deutschland rund 30 Jahre gedauert. Jeder Tag, an dem nichts geschieht, ist angesichts der immer weiter steigenden Plastikmüllmengen bedrohlich für unser aller Lebensgrundlage. Die Kunststoffkompensation ermöglicht eine sofortige Verbesserung der Situation und erhöht gleichzeitig den Druck für politische Veränderungen.

Die finanzierten Müllprojekte machen die Bevölkerungen vor Ort zu Hauptakteuren, schaffen Oasen der Sauberkeit auf lokaler Ebene und motivieren Menschen, für die saubere Zukunft ihres Landes einzustehen.

Durch plastikneutrale Produkte haben wir eine Möglichkeit geschaffen, von Deutschland aus darauf Einfluss zu nehmen, dass nachhaltig und messbar weniger Plastikmüll ins Meer gelangt.


Das große Ziel: Infrastrukturen für Plastikrecycling schaffen und lokal Veränderungen bewirken (Bild: WasteReduction).

Was haltet ihr vom „Zero Waste Lifestyle“ und wie Unternehmen auf das entsprechend angepasste Konsumverhalten reagieren?

Natürlich ist es sinnvoll, dass wir alle möglichst nur das kaufen, was wir wirklich brauchen und vermeiden, dass Müll überhaupt entsteht. Unternehmen, die uns dazu bewegen wollen, etwas Neues zu kaufen, nur weil es vermeintlich grün ist, stehen in gewisser Weise dem „Zero Waste Lifestyle“ entgegen.

Das Hauptproblem, wenn man es so nennen mag, ist aber ein anderes. Für die Bambuszahnbürste oder unverpackte Haferflocken (die ich auch lange gekauft habe) bezahlt man viel Geld, weil man dazu beitragen möchte, dass dadurch weniger Plastikmüll in die Meere gelangt.

Der Zusammenhang ist jedoch zum Glück auf Grund von immer besser reglementierten Müllexporten kaum gegeben. Es hilft der Natur am meisten, wenn wir unsere Ressourcen an „pollution hotspots“ einsetzen. Mit 2 € für unverpackte Haferflocken habe ich eine Tüte von vielleicht 10 g eingespart, die nichts mit dem globalen Problem zu tun haben. Mit 2 €, die in Abfallmanagement in Entwicklungsländern investiert werden, sind es schon 2 kg an wildem Plastikmüll, die unsere Natur nicht mehr belasten.

Insgesamt ist der „Zero Waste Lifestyle“ aber auf Grund der höheren Kosten, des zusätzlichen Zeitaufwands und vor allem des fehlenden Angebots noch Luxus. Den größten Einfluss auf die globale Plastikkrise haben wir, wenn wir alle bewusst konsumieren und ärmeren Ländern helfen, die Plastikflut in die Meere zu stoppen.

Vielen Dank für das Interview, Martin!

Dir schwebt nun auch noch eine Frage im Kopf herum, die du gerne an WasteReduction stellen möchtest?

Dann schreib sie in die Kommentare – wir freuen uns auf den Austausch mit dir!

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