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Alles Öko-Lügen?! – Umweltjournalist Michael Lohmeyer im Interview

BUCH-TIPP | Umweltjournalist Michael Lohmeyer hinterfragt in “Die 50 größten Öko-Lügen” weit verbreitete Annahmen rund um verschiedene Umweltthemen und den Klimawandel.

BUCH-TIPP | Umweltjournalist Michael Lohmeyer hinterfragt in “Die 50 größten Öko-Lügen” weit verbreitete Annahmen rund um verschiedene Umweltthemen und den Klimawandel.

03.06.2022 | Ein Interview geführt von Marcus Noack | Bild: Pexels

Sind Elektroautos wirklich klimafreundlicher? Sind Flug- und Schiffsreisen ökologisch gesehen tatsächlich ein Desaster? Ist Klimaschutz vor allem eine Aufgabe der Einzelpersonen? Stimmt es, dass ein Land allein nichts gegen den Klimawandel ausrichten kann?

Der profilierte Umweltjournalist Michael Lohmeyer nimmt in seinem Buch “Die 50 größten Ökolügen - Wie uns Politik und Industrie an der Nase herumführen” vermeintlich allgemeingültige Behauptungen und gängige Glaubenssätze rund um die Themen Umwelt und Klimawandel unter die Lupe. Er stellt in seinem Buch dar, warum wir nicht nur in einer Klimakrise, sondern in einer Systemkrise stecken und liefert hierzu überraschende Fakten.

LifeVERDE: Herr Lohmeyer, Sie haben ein Buch mit dem Titel „Die 50 größten Ökolügen“ geschrieben. Was hat Sie dazu veranlasst?

Wir leben nicht nur in einer Klimakrise, von der alle sprechen, wir sind mitten in einer Systemkrise. Die einzelnen Umweltthemen stehen nicht vereinzelt da, sondern sind Puzzle-Teile eines großen Ganzen, das die Menschheit nur zum Teil durchblickt. Im Buch wird anhand von 50 Beispielen versucht, diese Vernetztheit aufzuzeigen. Wir reden heute von Problemen – und auch von Lösungen –, die vor 40 Jahren jedenfalls in grundlegenden Ansätzen schon bekannt gewesen sind. Die Politik wusste Bescheid und hätte handeln müssen. Sie hat es nicht. Und: Wenn von Systemkrise die Rede ist, dann müssen wir uns das System anschauen. Unmengen Geldes werden ausgegeben, um neue Bedürfnisse zu erwecken. Nachhaltig ist das nicht.

Was ist ihr persönlicher wirtschaftlicher und ökologischer Hintergrund?

Ich bin angestellter Journalist einer österreichweiten, unabhängigen Tageszeitung („Die Presse“) und befasse mich mit Umweltthemen seit Beginn der 1980er-Jahre. In diesen Jahrzehnten hatten Ökologie-Themen in der öffentlichen Wahrnehmung Höhen und Tiefen. Die Dringlichkeit hat man aber auch vor vier Jahrzehnten schon erkennen können. Zum ökologischen Hintergrund: Ich versuche, ökologischer zu leben – soweit dies möglich ist.

Würden Sie sagen, dass die Industrie bzw. die Wirtschaft uns mit vielen vermeintlich grünen Produkten hinters Licht führt und wenn ja, wie?

Natürlich gibt es Ökolügen. Je mehr Geld für Werbung und für PR ausgegeben wird, umso genauer muss man hinschauen. Im Buch wird auch die Methodik der Public Relations dargestellt. Man kann nicht über Produktkennzeichnung und Labels reden, ohne die PR dahinter zu betrachten. Aber das Bild ist nicht nur schwarz: Es gibt sehr wohl auch Unternehmen, die  „nachhaltig“ breit definieren und wirklich ernst nehmen.

Gehen wir den Themen Ihres Buches mal ein bisschen step by step auf den Grund. Warum schützen wir mit E-Autos nicht oder nur bedingt die Umwelt?

Grundsätzlich lässt sich sagen: Solange es nicht 100% Öko-Strom gibt, haben in einer Gesamtbetrachtung E-Autos so gut wie keinen ökologischen Vorteil. Und auch wenn die 100% Öko-Strom irgendwann Realität sein sollten: Punktuell mag es Vorteile geben (keine Auspuffabgase in der Stadt), gesamtheitlich jedoch nicht (Verlagerung der Emissionen). Batterien und die Rohstoffe, die zu deren Herstellung nötig sind, sind teilweise problematisch, die Entsorgung ungeklärt. Die Art der individuellen Mobilität ist das Problem.

Gütesiegel sollen uns ein gutes Gefühl verschaffen. Halten viele Gütesiegel Ihrer Meinung nach nicht was Sie versprechen?

Genau. Deklarationen wie „aus verantwortungsvoller Tierhaltung“ geben Konsument*innen ein gutes Gefühl, sind aber meist ohne Substanz. Nur wenn konkrete Regeln befolgt werden, die überprüft werden können (von jeder Konsumentin und jedem Konsumenten) und auch unabhängig überprüft werden, sind ernst zu nehmen.

Sie nehmen die Fliegerei und die Schifffahrt in Schutz und sagen, dass diese beiden Branchen zu Unrecht ein schlechtes Öko-Image haben, warum?

Das ist ein Irrtum. Ich nehme weder den Flug-, noch den Schiffsverkehr in Schutz. Ich stelle deren Beitrag in Vergleich etwa zum Autoverkehr. Kein Freibrief, kein Reinwaschen, ganz und gar nicht. Im Buch wird die Umweltbelastung von Flug- und Schiffsverkehr ausführlich dargestellt.

Was ist mit den erneuerbaren Energien, sind diese durchweg positiv anzusehen aus ökologischen Gesichtspunkten?

Ich würde das so beantworten: Erneuerbare Energien haben tendenziell einen ökologischen  Startvorteil, man muss allerdings das konkrete Projekt ganz genau anschauen. An erster Stelle muss stehen, den Energieverbrauch zu verringern oder überhaupt zu vermeiden, also die Frage ernsthaft stellen: Wie kann vermieden werden, dass ein Kraftwerk überhaupt nötig wird?

Welche Themen der beschriebenen 50 aus Ihrem Buch haben es Ihnen persönlich noch so richtig angetan und warum?

Ich glaube, es wäre ein Fehler, hier ein Ranking aufzustellen. Die Themen sind miteinander verwoben, ein jedes ist wichtig. Die Summenwirkung zeigen sich am deutlichsten in der Krise, die sich im Klima und beim Verlust der Artenvielfalt zusammenbraut, der Zustand der Böden ist mindestens genauso alarmierend, und … Nein, es käme zu kurz, einzelne Punkte herauszunehmen. Wir leben in einer Systemkrise.
 

Was erhoffen Sie sich, dass Sie mit Ihrem Buch anstoßen können?

Es wäre schön, wenn mein Buch einen Beitrag liefern könnte zu einer ganzheitlichen Betrachtung und zu einer sachlichen Diskussion sowie den Beginn eines gesellschaftlichen Diskurs’, in welche Richtung wir das Wirtschaftssystem (und damit wohl auch die Gesellschaft insgesamt) entwickeln wollen, um mit der Erde und den ökologischen Notwendigkeiten in Einklang zu kommen. Derzeit ziehen wir uns den Boden unter den Füßen weg.

Herzlichen Dank für das Interview zu Ihrem Buch, Herr Lohmeyer!
 

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